Eine Hommage an das analoge Bild
Bereits Aristoteles beschäftigte sich vor über 2000 Jahren mit der Camera obscura und der Fähigkeit die „Realität“ auf eine Fläche zu projizieren. Über Jahrhunderte nutzen Forscher und Künstler diese Möglichkeit um die dreidimensionale Welt auf zwei Dimensionen zu reduzieren. Erst Anfang des 19 Jh. gelang es dann endlich Bilder auf sogenannten Lichtträgern festzuhalten und auch zu konservieren. Die Geburtsstunde der Fotografie. Fast zwei Jahrhunderte lang entstanden Bilder, Zeitdokumente und Kunstwerke. Die sogenannten Lichtträger und
Kameras entwickelten sich ständig weiter und öffneten neue Möglichkeiten. Egal ob Glasplatte oder Film, ob Dia, Negativ oder ausgearbeitetes Positiv, das Endprodukt war materiell. In den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts kam der Wandel mit den ersten digitalen Kameras. Als bahnbrechende Erfindung eroberten sie die Welt der Fotografie und haben bis heute die „alte“ Technik nahezu verdrängt.
An die Stelle der materiellen Bildträgern rückten die Bits und Bytes, digitale immaterielle Daten. Die Vorteile der digitalen Fotografie sind nicht anzuzweifeln und nie zuvor war die Fotografie einem so breiten Publikum zugänglich. Die Kameras mit Automatismen sind meist unkompliziert in der Handhabung. Die Verbreitung unserer Bilder einfacher und schneller denn je. Doch werden wir unsere digitalen Bilder auch noch unseren Kindeskinder zeigen können? Verglichen mit Papier oder gar Steintafeln halten digitale Datenträger nur kurze Zeit, und schon
heute gehen Unmengen digitaler Daten verloren. Diese Erkenntnis macht mir Angst.
2009 verstarb Vivian Maier. In einer Versteigerung wurde Ihre Hinterlassenschaft veräußert. Bald stellte sich heraus, dass Sie Zeit Ihres Lebens fotografierte und einen sehr großen und wertvollen Fotobestand in Form von Dias, Negativen usw. hinterließ. Heute zählt Vivian Maier zu den berühmten Vertretern der frühen Streetfotografie. Nicht jeder von uns wird wie sie als berühmter Fotograf in die Geschichte eingehen. Doch jeder Fotograf hinterlässt seine Spuren – in unserem Fall digitale – und vielleicht auch das eine oder andere wichtige Bild – für
sein Umfeld, für seine Familie, für das Dorf für die Region. Doch wer wird sich nach unserem Ableben die Mühe machen, alte Rechner, Festplatten oder ähnliches zu sichten auf der Suche nach guten Bildern? – sofern sich die Daten noch öffnen lassen. Die einzigen Bilder auf Servern oder im Social Media gefangen, in niedriger und komprimierter Auflösung, ohne Chance auf einen qualitativen Druck. Die “forgotten Generation”, jene Generation, welche die meisten Bilder hervorbrachte, wird in der Zukunft keine Bilder haben.
Diese Auseinandersetzung führte mich zu diesem Projekt. Ich wollte das in Bildern fassen, was mich derzeit beschäftigt. Das sind über 60.000 digitale Bilder, die sich auf meiner Festplatte und anderen Speichermedien befinden. Schon lange habe ich den Überblick verloren und nur wenige Bilder gedruckt. Wer soll sich diese 60.000 Bilder jemals anschauen? Ich empfinde diese Art der Fotografie als unvollkommen, so als ob ich die volle Filmrolle in die Mülltonne schmeißen würde. Ich reduziere die Fotografie auf das Fotografieren und nicht auf das entstandene Werk.
Diese Serie soll zum Nachdenken anregen, soll uns bewusst machen, welche Lücke wir hinterlassen werden. Es soll uns ermutigen, Bilder wieder als solche zu sehen und mehr daraus zu machen – zu Drucken, zu Rahmen, Aufzuhängen, Alben zu kleben, Fotobücher zu gestalten. Als Experiment werde ich daher diese Bilder drucken, rahmen und in einer kleinen Ausstellung zeigen. Ich hoffe vielen Menschen dadurch einen Denkanstoß zu geben.
Freie Arbeit | Bilder © Fabian Haspinger